DSA - Göttersteine
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Eine alte Geschichte....

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Beitrag  Tessa 06.04.17 16:01

Ein Text, den ich 2009 gschrieben habe.


„Jandara!“
Etwas rüttelte an ihr.
„Jandara nun mach schon die Augen auf!“
Jemand verpasste ihr eine Ohrfeige. Die Gesichtszüge der jungen Thorwalerin bewegten sich, doch noch hielt sie die Augen geschlossen. Langsam begann sie mit einer innerlichen Bestandsaufnahme ihrer einzelnen Körperteile und musste schnell feststellen – sie waren offenbar alle noch da, denn alle schrien und beschwerten sich. Ohne die Augen zu öffnen, konnte die junge Frau feststellen, dass sie mehrere Schnittwunden an Armen und Torso hatte, ganz zu schweigen von dem pochenden Schmerz in ihrem Kopf und dem brennenden Schmerz, der sich durch all ihre, offenbar mal wieder zu stark beanspruchten Muskeln zog. Jandara verzog das Gesicht. Was war passiert? Der Wind pfiff, der Boden schwankte... sie war also noch auf dem Schiff und wohl auch noch auf hoher See, denn in dem stechenden Salzgeruch, welchen sie so liebte, gab es keine Spur von Wald- oder Statdgerüchen oder anderen Gerüchen, welche auf nahes Land hinwiesen.
„He! He, sie wacht auf! Jandara, He! Mach die Augen auf!“, hörte sie die bestimmte und doch besorgte Stimme, welche sie aus ihren Träumen gerissen hatte. Sie kannte diese Stimme. Blinzelnd öffnete sie die Augen und blickte in die sonnengebräunten und doch ungewöhnlich bleichen Gesichter von Orm und Branda Garulfdottir.
„Was ist... nein...“, während Jandara mit kratzendem Hals anfing zu reden, kehrten die Erinnerungsfetzen Schritt für Schritt zurück, „Ist es schon wieder passiert?“, fragte sie betrübt.
„Trink erstmal was!“, ordnete die gutmütige Branda an und setzte ihr einen Trinkschlauch mit Wasser an den Mund. Zu schwach, um zu widersprechen, trank Jandara gehorsam, während sie versuchte, sich an das zu erinnern, was geschehen war, bevor sie aufgewacht war... sie waren unterwegs gewesen... und da war dieses Schiff. Eines der typischen, horasischen Handelsschiffe, samt dieser unnütze Schnörkerlverzierungen und der verhassten Flagge. Es hatte die Segel gerafft, torkelte auf den Wellen hin und her, schien beschädigt zu sein. Sie hatten auf es zu gesteuert, waren längst gegangen, ehe ihnen ihr Irrtum bewusst wurde.
„Eine Falle!“, rief Jandara und richtete sich ruckartig auf.
„Beruhig dich Jandara Hasgardottir.“, ermahnte Branda sie streng und drückte sie zurück auf die schwankenden Planken des Decks. Einige der Umstehenden hatten sich bei Jandaras Aufruf erstaunt umgedreht und waren nun näher getreten. Traurige, mutlose Blicke begegneten Jandaras Augen, aber sie schienen alle erfreut zu sein, die junge Thorwalerin wieder bei Sinnen zu sehen.
„Verdammte Horasier! Soll Hrangar sie holen!“, murmelte sie leise. Ein Raunen ging durch die Gruppe, einige sahen sich besorgt um, blickten auf das Meer oder zum Himmel.
„Beschwör uns kein Unheil auf den Hals, Jandara.“, mahnte Branda leise mit einem Blick auf ihren Bruder. Jandara sah, wie Orm sein Gänseamulett umklammerte. Dabei bemerkte sie einen langen Schnitt an seinem rechten Arm, der nur halb von einem blutigen Verband bedeckt wurde. Die Wunde sah nicht gefährlich, aber schmerzhaft aus. Der Junge war eindeutig noch zu jung für einen solchen Kampf. Dass das ausgerechnet auf seiner ersten Fahrt passieren musste. Jandara brummte missmutig und schloss die Augen. Was war weiter passiert? Nur unklare, verschwommene Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf.

Gegner... überall nur Gegner und sie mitten drin. Ein Gegner fiel, aber es waren noch viel zu viele da. Sie stürmte weiter. Hieb um sich in alle Richtungen. Immer wieder stieß ihre Skraja auf Widerstand, doch sie durchbrach jeden, durchbrach jede Verteidigung, durchbrach Knochen, Gliedmaßen und Schädel – Blut spritzte, sie wusste nicht wessen. Keine Schmerzen, keine Gedanken, nur der Drang zu kämpfen und sie alle niederzuschlagen, bis keiner sich mehr bewegte. Dann nur Schwärze.

„Es ist wieder passiert.“, stellte sie mit nüchterner Stimme fest, ohne die Augen zu öffnen.
„Wie viele habe ich getötet?“, fragte sie und gab sich Mühe, neutral zu klingen, konnte aber nicht verhindern, dass eine Spur Neugier und Stolz in ihrer Stimme mit schwang.
„Zwanzig!“, hörte sie Orms halb entsetzte, halb bewundernde Stimme.
„Sechs“, korrigierte Branda mürrisch, „und wärs't beinah selber drauf gegangen dabei.“
Jandara öffnete die Augen und konnte gerade noch den Blickwechsel zwischen den Geschwistern beobachten. Die 6 Jahre ältere Branda rollte mit den Augen.
„Und mindestens 10 weitere hast du bis auf ihr Lebensende verstümmelt.“, lenkte sie ein. Jandara grinste zufrieden.
„Das war es doch wert.“
Diese Aussage brachte ihr gleich wieder einen bösen Blick von Branda ein.
„Du solltest dich schämen, Jandara Hasgardottir. Deine mangelnde Selbstbeherrschung führt uns noch einmal alle in den Tod! So verantwortungsloses Verhalten wie das von Askar...“, sie verstummte und schlug sich die Hand vor den Mund und bestürzt die Augen nieder. „Es tut mir Leid.“
„Das sollte es auch.“, stimmte Jandara aufgebracht zu und richtete sich wieder soweit auf, dass sie, sich mit beiden Armen stützend, nun sitzend auf dem schwankenden Deck befand und sah sich um. „Askar würde niemals verantwortungslos handeln. Mag sein, dass sie diesmal einen Fehler gemacht hat, aber niemand hat das kommen sehen, oder?“ Wütend funkelte sie alle Gesichter der umstehenden Thorwaler an. Jeder beeilte sich, ihr nickend zuzustimmen. „Oder hast du es vorher gesehen, Branda?“ Branda schüttelte den Kopf und wich Jandaras zornigem Blick aus. „Na also.“ Jandara warf zufrieden das Haar zurück, rieb sich dann aber gleich den Kopf. Offenbar waren schnelle Bewegung doch noch keine gute Idee.
„Wo steckt Askar eigentlich? Warum ist sie nicht hier und sieht nach mir?“, fragte sie ihn gespielter Enttäuschung, um sich von einem Gedanken abzulenken, der die ganze Zeit in ihr nagte. Niemand antwortete ihr. Überrascht sah sie sich um. Alle der umstehenden Frauen und Männer wichen ihrem Blick aus, auch Branda und Orm.
„Was ist los?“, fragte Jandara besorgt, „Geht es ihr nicht gut? Ist sie verletzt?“ Ein ungutes Gefühl beschlich die junge Thorwalerin. Keiner antwortete ihr.
„Warum bist du bei mir, wenn Askar Hilfe braucht?“, fragte Jandara an Branda gerichtet, während ein schrecklicher Verdacht an ihrem Herz zu nagen begann. Branda antwortete nicht, blickte Jandara nicht an, nervös streichelte sie ihren Walanhänger.
„Nein! Nein... Orm... Orm, sag du es mir!“
Erschrocken blickte der Angesprochene in Jandaras große, grüne Augen.
„Sag es mir Orm, bitte!“, sie wusste, dass er ihr nicht würde widerstehen können, doch erstaunlich lange hielt er diesmal ihrem Blick stand.
Eine Frage pochte ununterbrochen in Jandaras Kopf und nun befürchtete sie, die Antwort zu kennen. Es war nicht das erste mal, dass sie so außer sich, so in Walwut geraten war, aber doch... sie hatte keine schweren Verletzungen. Was war es gewesen, dass ihr so die Besinnung raubte? Böse Vorahnung begleitete Jandaras Blick, welcher auf Orms Gesicht gerichtet war. Er öffnete langsam den Mund.
„Es tut mir Leid, Kapitän.“
„NEIN!“
Jandara schrie. Kapitän. Mit diesem einen Wort war alles gesagt. Askar war Kapitän, aber wenn Orm sie so nannte, konnte das nur heißen... Das konnte nicht war sein, das durfte nicht wahr sein. Jandara schrie. Jandara schrie und alles um sie herum begann sich zu drehen. „NEIN!!“ Ihr Blick verschwamm und ihre Hände tasteten suchend über den Boden. Plötzlich waren drei schwere Leiber auf ihr und drückten sie zu Boden und ein scharfer Geruch stieg ihr in die Nase. Ihr Blick klärte sich. Branda blickte sie mit einem von Verzweiflung zerfurchtem Gesicht an, hatte die Hand ausgestreckt und Jandara ein paar unangenehm riechende Kräuter unter die Nase gehalten.
„Genau das meine ich, Jandara! Reiß dich endlich einmal zusammen! Bleib bei Besinnung. Die Ottajasko braucht dich jetzt!“
Jandara blickte in Brandas tiefe, grüne Augen – grün wie die ihrigen. Doch sie wollte keine grünen Augen sehen, sie wollte in Askars helle, blaue Augen blicken mit ihr lachen und scherzen, wie sie es früher immer getan hatten. Askar war ihr immer mehr als nur eine Cousine gewesen. Wie Schwestern aufgewachsen, waren sie sogar mehr als das gewesen. Nichts hatte sie beide auseinander bringen können, nicht einmal, dass Jandaras Mutter, Anda Walladottir - jahrelang Hetfrau der Ottajasko - schwer verwundet noch Askar statt Jandara, ihrer eigenen Tochter, zu ihrer Nachfolgerin bestimmte. Natürlich war Jandara zuerst gekränkt, hatte dann aber die Entscheidung der inzwischen toten Mutter akzeptiert und ihre Freundin Aksar in allen Belangen unterstützt. Diese hatte auch gleich verkündet, sollte ihr etwas zustoßen, so solle Jandara die nächste Hetfrau werden. Natürlich hatte da die Ottajasko immer noch ein Wort mit zu reden, aber seit Generationen hatte sie immer die Entscheidung der vorherigen Hetfrau oder des vorherigen Hetmannes unterstützt, so ja auch diesmal, wenngleich einige unzufriedene Stimmen murrten, dass Askar doch viel zu unerfahren für diese große Verantwortung war. Dann kam ihre erste Fahrt mit Askar als Hetfrau und Kapitänin... und nun dies.
Das besorgte Gesicht Orms zeigte sich über Brandas Schuler.
„Ist alles in Ordnung, Jandara? Es tut mir Leid. Es tut mir so furchtbar Leid!“
Sie hörte seinen aufrichtigen Kummer. Sowohl den um die gefallene Askar als auch darüber, dass er derjenige sein musste, der Jandara die Nachricht von ihrem Tod überbrachte.
Ein tiefer Atemzug.
„Runter mit euch.“, fuhr sie die zwei Männer und die eine Frau an, welche sich – vermutlich auf Brandas Zeichen – auf sie geworfen hatten, „Danke.“, fügte sie etwas freundlicher, beinah entschuldigend hinzu. Ihre tastenden Hände hatten auch keine Waffe gefunden. Branda hatte alle Vorkehrungen getroffen, ehe sie sie geweckt hatte. Auch, wenn sie wohl nie Freundinnen werden würden, Jandara bewunderte die Voraussicht der einzigen Heilkundigen unter den jungen Leuten der Ottajasko.
„Lass mich deine Wunden versorgen.“, verlangte Branda mit strenger Stimme, „Orm, hol mehr Verbände... und ihr verzieht euch!“, fuhr sie erst an ihren Bruder und dann an den Rest der Umstehenden gewandt fort. Jandara schwieg. Sie konnte es immer noch nicht fassen, wollte nicht daran denken, wollte gar nicht denken. Aber Branda hatte recht. Sie durfte sich nicht wieder aufregen... würde sie hier uns jetzt in die Wahlwut verfallen, würde es noch mehr Verletzte unter den Männern und Frauen der Mannschaft geben, vielleicht sogar Tote. Die junge Thorwalerin bemühte sich, in gleichmäßigen, tiefen Zügen zu atmen. Unterdessen begann Branda mit gerunzelter Stirn ihre Schnittwunden zu untersuchen und mit einem Tuch zu säubern.
„Wir haben noch 5 Tote zu beklagen und bei einigen der Verletzten bin ich mir nicht sicher, ob sie es schaffen, außerdem ist das Schiff stark beschädigt.“, erklärte sie währenddessen.
„Wer ist noch alles tot?“, fragte Jandara tonlos.
Branda wartete einen Moment, vielleicht abschätzend, ob es Jandara mehr aufregen würde, die Namen der Gefallenen zu hören oder die Antwort verweigert zu bekommen.
„Hardger, Beonhild, Eilif, Torlind und Fjolnir.“, antwortete sie schließlich, „Und bei Hardred, Anga, Swafgard, Jurga, Jora und Egil steht auch zu befürchten, dass sie uns verlassen.“
Jandara stöhnte.
„Möge Swafnir uns beistehen.“
So viele Verluste und sie hatten nicht einmal das kleinste bisschen Beute gemacht. Diese verfluchten Horasier... doch sie durfte sich nun nicht aufregen. Sie musste ruhig bleiben.
Orm kam und brachte neue Verbände und wurde von Branda sofort wieder weggeschickt, bei den Reparatur arbeiten zu helfen. Die Verbände nutzte Branda sofort, um die zahlreichen Schnittwunden an Jandaras Körper zu verbinden. Nachdem sie diese Prozedur eine Weile stirnrunzelnd über sich ergehen lassen hatte, fing Jandara an, sich zu beschweren.
„Warum machst du so ein Theater um diese paar Kratzer? Du solltets dich lieber um Jora oder Egil oder einen von den anderen kümmern!“
Branda zurrte einen der Verbände kräftiger fest, als es wohl nötig gezogen werde, ließ aber durch keine Gesichtsregung erkennen, ob ihr Jandaras Bemerkung missfallen hatte.
„Wenn Ihr mir befiehlt, mich um die anderen zu kümmern, werde ich dies selbstverständlich tun mein Kapitän.“, behauptete sie, setzte ihre Arbeit aber fort, als wäre nichts gewesen.
„Nenn mich nicht Kapitän. Ich bin nicht Kapitänin dieses Schiffes. Ich eigne mich nicht zum Kapitän, das wusste schon meine Mutter.“, erwiderte Jandara mürrisch.
„Auch Anda Walladottir konnte in ihrer Weißheit nicht ahnen, dass die Ottajasko in so kurzer Zeit gleich zwei ihrer Anführer verlieren würde.“
Jandara schloß die Augen.
„Wenn du den Posten nicht übernimmst, wer soll es dann machen?“
Jandara öffnete die Augen wieder. „Woher soll ich das wissen? Mach du es doch! Du kommandierst hier doch eh schon jeden herum – deinen Bruder, mich...“, sie verstummte als sie Brandas strengem Blick begegnete.
„Ich sorge dafür, das getan wird, was getan werden muss. Nicht mehr. Ich bin Heilerin, Jandara, keine Kämpferin oder Steuerfrau. Ich kann die Leute heilen, aber nicht motivieren. Und das ist es, was wir alle nun am nötigsten brauchen. Sieh sie dir doch mal an, wie sie untätig herum sitzen, die Augen stumpf.“
Jandara folgte Brandas Schwenk mit dem Arm und musste feststellen, dass Branda recht hatte. Der größte Teil der Mannschaft saß an Deck herum und starrte trostlos vor sich hin, einige wenige wechselten mit gedämpfter Stimme ein paar Worte, aber niemand schien sich zu unterhalten wie sie hier mit Branda. Es tat weh, diese stolzen Frauen und Männer so niedergeschlagen zu sehen und Jandara schalt sich selbst dafür, dass sie bisher nur an ihr eigenes Leid, ihren eigenen Verlust gedacht hatte. Mit keinem Gedanken war sie bisher darauf gekommen, dass auch die anderen ihnen wichtige Personen verloren hatten, dass sie alle ihre Anführerin verloren hatten und nun keiner wusste, wie es weiter gehen sollte. Die Flucht war geglückt... ein Rückzieher, wie er jedem echten, stolzen Thorwaler schwer fällt, wie er aber doch manchmal nötig war. Während Jandara sich nun zum ersten Mal, seit sie erwachte, richtig auf dem Schiff umsah, fiel ihr noch etwas auf.. etwas beunruhigendes.
„Branda?“, fragte sie den Blick auf die Segel über ihr gerichtet, „Branda... du sagtest, das Schiff sei beschädigt... wie stark beschädigt ist es?“
„Mit ein bisschen Glück, können wir es bis Havena schaffen.“
„WAS?“, rief Jandara erschrocken. Einige Köpfe drehten sich zu den beiden.
„Nicht so laut, du erschreckst sie!“, zischte Branda wütend.
„Ja, aber... ich meine.. was? Soll das heißen, dass wir es vielleicht auch nicht schaffen? Wir sinken?
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